35mm OST

Nein, dies sind keine strenggeheimen Koordinaten. Es handelt sich vielmehr um ein fotografisches Experiment, einen kleinen Selbstversuch, wenn man so will.

Für gewöhnlich bin ich auf meinen Touren mit dem 28-75mm von Tamron unterwegs, welches sich sowohl durch seinen sehr flexiblen Zoombereich, als auch durch seine hervorragende optische Qualität an meiner Sony bewährt hat. Es gibt nur wenige Situationen, in denen ich auf die anderen Objektive im Rucksack zurückgreifen muss: ein 16-35mm und das 70-200mm.

Ich spiele schon länger mit dem Gedanken, irgendwann einmal eine Bergtour mit einem einzigen Objektiv anzugehen, dazu noch eine Festbrennweite. Auf Touren, die der Recherche für einen Artikel dienen, kommt dies natürlich nicht in Frage. Zu groß die Sorge ein wichtiges Motiv zu verpassen. Im Februar entscheiden wir uns allerdings recht spontan zu einer kleinen Hüttentour, ohne jegliche Verpflichtungen. Einfach mal wieder raus. Eine Brise Bergluft schnuppern. Somit bot sich die ideale Gelegenheit das Vorhaben endlich in die Tat umzusetzen. Es ist die Pre-Corona-Zeit, aber trotzdem ist das Angebot an offenen Hütten Anfang Februar recht überschaubar.  Es soll außerdem eine Hütte werden, auf der wir noch nie gewesen sind, ein "unverbrauchtes" Motiv. Die Wahl fällt letztlich auf die Ostpreussenhütte, in den Salzburger Kalkalpen gelegen. Da der Teil "Preussen" in Österreich bekanntlich etwas schwer über die Lippen geht, wird die Hütte von Einheimischen und Stammgästen liebevoll "OST" genannt.

Von Einheimischen und Stammgästen liebevoll “OST” genannt: die Ostpreussenhütte.

Von Einheimischen und Stammgästen liebevoll “OST” genannt: die Ostpreussenhütte.

Die Wahl der (Fest) Brennweite fällt da deutlich leichter aus, habe ich mir doch erst zu Weihnachten selbst das sensationell gute Zeiss 35mm 2.8 geschenkt. Für den Fall, dass mein zuständiges Finanzamt mitliest: ... habe ich als selbständiger Fotograf in das Zeiss 35mm 2.8 investiert, um meinen Pflichten noch besser nachkommen zu können.

Somit ist nun der geheimnisvolle Code aus dem Titel entschlüsselt: es geht mit meinem neuen 35mm Objektiv auf die "OST". Die Vorzeichen sind denkbar ungünstig. Ich lag die ganze Woche bis zu unserer Tour mit einem Magen-Darm-Virus flach. Am Tag vor der Tour war ich von einem 10-minütigen Spaziergang zum Hausarzt völlig platt. Tatsächlich habe ich noch 30 Minuten vor der vereinbarten Zeit sehr ernsthaft überlegt die Tour abzusagen. Doch am Ende siegt die Sehnsucht nach Bergluft über die Bedenken, was meine Leistungsfähigkeit betrifft. Das sollte ich später (zumindest vorübergehend) noch zutiefst bereuen.

Bereits die letzten Meter im Auto hinauf zum Wanderparkplatz an der Dielalm sind abenteuerlich. Aufgrund der allgemein eher geringen Schneehöhen und aktuell sehr gemäßigten Temperaturen hätten wir nicht so viel Schnee und vor allem Eis erwartet, auf dieser eher bescheidenen Höhe um die 1.000 Meter. Aber irgendwie rutschen wir auf einen passenden Parkplatz und es kann losgehen.

Eingeschneites Schild der (leider geschlossenen) Dielalm.

Eingeschneites Schild der (leider geschlossenen) Dielalm.

Auch fotografisch gesehen ist es die erwartete Herausforderung. Ohne die Flexibilität eines gewissen Zoombereichs, muss man sich jedes Motiv suchen und erlaufen, genau die richtige Distanz finden. Der Vorteil (und auch Kaufgrund) der 35mm Brennweite ist die Tatsache, dass diese ziemlich genau dem menschlichen Sichtfeld entspricht. Es entstehen schnell erste Aufnahmen von Lars im Aufstieg und die schönen Sonnensterne fallen mir sofort ins Auge. Ein weiterer Pluspunkt dieses Objektivs. Die steilen Anstiege ziehen sich und es liegt deutlich mehr Schnee als erwartet. Schnell wird mir klar, dass es eine zähe Geschichte werden wird in meinem Zustand. Doch die Freude über die zahlreichen und schönen Fotomotive verschleiert dies noch ein wenig. Als besonders fotogen erweist sich die tief eingeschneite Blienteckalm vor einer wunderschönen, winterlichen Bergkulisse.

Lars in einem der ersten Anstiege im verschneiten Bergwald.

Lars in einem der ersten Anstiege im verschneiten Bergwald.

Auf der Suche nach passenden Perspektiven für das 35mm Objektiv.

Auf der Suche nach passenden Perspektiven für das 35mm Objektiv.

Der Bergwald öffnet sich, der Blick kann in die Ferne schweifen.

Der Bergwald öffnet sich, der Blick kann in die Ferne schweifen.

Die eingeschneite Blienteckalm.

Die eingeschneite Blienteckalm.

Winterliche Idylle auf der eingeschneiten Blienteckalm.

Winterliche Idylle auf der eingeschneiten Blienteckalm.

Immer wieder schaue ich auf die Uhr und bin der festen Überzeugung, dass wir aufgrund der bereits zurückgelegten Zeit jeden Moment an der Hütte ankommen müssten. Doch hinter jeder Ecke erwartet mich das gleiche traurige Bild: nichts (außer mehr Bäumen). Ich gehe langsam aber sicher auf dem Zahnfleisch. Es sind nicht die Beine, wie sonst wenn Touren einfach zu lang ausfallen, sondern ein Gefühl allgemeiner Schwäche. Die Auflösung folgt schnell. Da ich mich dieses Mal nicht um die Planung gekümmert hatte, sondern auf Lars verlassen habe, ging ich die ganze Zeit von lediglich 300 Höhenmetern aus. Das entspricht so ziemlich dem Maximum, was ich mir in diesem Zustand zugetraut hatte. Nun wird aber klar, dass dies im wahrsten Sinne nur die halbe Wahrheit ist. Tatsächlich sind es bis zur Hütte 600 Höhenmeter. Ich bin also völlig fertig und wir haben gerade erst die Hälfte hinter uns. Jetzt geht es wirklich auf die Psyche. Hinzu kommt, dass es alles andere als der erwartete, fast schneefreie Aufstieg auf einem gemütlichen Forstweg ist, sondern zunehmend höherer und fester Schnee. In den steilen Anstiegen muss ich mir kleine Tritte in den Schnee stoßen um ausreichend Halt zu finden. Ich werde immer langsamer und komme mir vor wie auf einer anspruchsvollen alpinen Unternehmung. Wohlwissend, dass es sich bei dieser Tour eigentlich um einen besseren Spaziergang handelt, kommt zur totalen Erschöpfung auch noch die Enttäuschung. Die Enttäuschung über mich selbst. Ich sauge verzweifelt die letzten Tropfen Gatorade aus der Flasche, esse meinen letzten Müsliriegel und stopfe ein großes Stück meiner Notfallschokolade hinterher. Im nächsten sehr steilen Anstieg geht Lars ein ganzes Stück vor mir, obwohl er immer wieder wartet und helfen will, doch da gibt es leider nichts entgegen zu setzen. Plötzlich der erlösende Aufschrei: "Ich kann die Hütte sehen, wir sind da!". Eigentlich Grund zur Freude, aber ich kämpfe mich noch immer Schritt für Schritt nach oben. Alle paar Schritte eine Pause. Immer wieder habe ich das Gefühl jeden Moment nach vorne zu kippen und einfach im Schnee liegen zu bleiben. Derart entkräftet war ich noch nicht mal damals auf den letzten Metern meiner 24h Wanderung im Karwendel. Doch irgendwann ist es dann doch geschafft und auch ich erblicke die "OST". Es ist mittlerweile fast dunkel, was immerhin noch einige schöne Aufnahmen im Abendlicht ermöglicht. Die letzten Tagesgäste, von denen uns in den letzten Stunden bereits unzählige entgegenkamen, stürzen sich in die Abfahrt.

Eine ungewöhnliche Kombination aus Fels, Baum und Religion.

Eine ungewöhnliche Kombination aus Fels, Baum und Religion.

Erleichterung beim abendlichen Anblick der “OST”.

Erleichterung beim abendlichen Anblick der “OST”.

Eingangsbereich der Ostpreussenhütte.

Eingangsbereich der Ostpreussenhütte.

Nach einem kurzen Pflichtbesuch im wohl skurrilsten Trockenraum der Alpen (eine lebensgroße Puppe in Uniform auf der Bank und ein Bein im Schuhregal), kurzem Frischmachen und Umziehen, zieht es mich direkt in die gemütliche Stube. Eine Cola als lebenserhaltende Maßnahme und die Welt kommt so langsam wieder in Ordnung. Es wird ein lustiger Hüttenabend und das Essen ist fantastisch. Harald's Spinatknödel sind ein Traum.

Spinatknödel auf Championsleague-Niveau!

Spinatknödel auf Championsleague-Niveau!

Gute Stimmung in der Stube, ein lustiger Hüttenabend trotz totaler Erschöpfung.

Gute Stimmung in der Stube, ein lustiger Hüttenabend trotz totaler Erschöpfung.

Der nächste Morgen erwartet uns mit viel Sonne und so entstehen auf dem deutlich entspannteren Abstieg noch einige schöne Aufnahmen.

Hüttenwirt Harald verabschiedet einen der Stammgäste.

Hüttenwirt Harald verabschiedet einen der Stammgäste.

Traumhafte Lage: auch auf der Hüttenterrasse könnte man diesen sonnigen Tag genießen.

Traumhafte Lage: auch auf der Hüttenterrasse könnte man diesen sonnigen Tag genießen.

Auch im Abstieg überrascht die Blienteckalm mit wunderschöner Bergkulisse.

Auch im Abstieg überrascht die Blienteckalm mit wunderschöner Bergkulisse.

Verwendete Ausrüstung:

Sony Zeiss 35mm 2,8: https://amzn.to/2RyZr1U

Sony A7 III: https://amzn.to/2JV4uFF

Tamron 28-75mm 2,8: https://amzn.to/3aXRM4N