3:00 Uhr morgens in einem kleinen, aber gemütlichen, Bett in der Otto-Mayr-Hütte im Tannheimer Tal. Der Wecker klingelt. Eigentlich liebe ich meinen Klingelton, "Jeans on" von David Dundas. Ein echter Gute-Laune-Klassiker, der mich fast immer mit Energie und Freude aufstehen lässt. Doch in dieser Nacht muss ich den Refrain dreimal hören bis ich endlich in senkrechter Startposition bin. In meinem tiefsten Innern hoffe ich, dass es draußen regnet oder wenigstens bedeckt ist. Ich will den Sonnenaufgang vom Gipfel der "Großen Schlicke" auf 2.059 Metern fotografieren. Dieses Unternehmen würde bei schlechtem Wetter keinen Sinn machen, daher könnte ich gemütlich und mit ruhigem Gewissen weiterschlafen bis zum Hüttenfrühstück auf der Terrasse. Langsam öffne ich das kleine Holzfenster, welches wir am Vorabend mühevoll verrammelt hatten. Nur so war, bei noch strahlendem Sonnenschein, um 20:30 Uhr an Schlaf zu denken. Das letzte mal war ich wohl mit 5 Jahren um diese Uhrzeit im Bett!
Dann der Schock: meine müden, halbgeöffneten Augen erblicken eine sternenklare Nacht! Die letzte Möglichkeit aus dieser Nummer irgendwie rauszukommen ist somit dahin. Als ich das Zimmer verlasse, findet mein Kollege noch tröstende Worte im Halbschlaf: "Na viel Spass dann, wir sehen uns später zum Frühstück!". Danke dafür. Im Trockenraum schlüpfe ich in meine Stiefel und verlasse die Hütte. Vor mir liegen 500 Höhenmeter und totale Dunkelheit. Nur ich und meine Stirnlampe. Dieser verlange ich auch gleich auf den ersten Metern alles ab. Die ganze Weide hinter der Hütte muss ausgeleuchtet werden, denn ich will um jeden Preis einen Zusammenstoß mit einem dieser tiroler Riesenbullen vermeiden! Bereits am Vortag hatten diese uns den eigentlich wohlverdienten Mittagsschlaf vermiest und uns von der Wiese vertrieben.
Wenige Minuten später erreiche ich, glücklicherweise unfallfrei, den dichten Wald. Dieser Umstand verbessert die Sicht natürlich auch nicht wirklich. So geht es nun Schritt für Schritt durch dunklen Wald bergauf. Nach einem anstrengenden ersten Tag, mit Besteigung der Roten Flüh, einem guten Stück des Friedberger Klettersteigs und einem langen Abstieg durch ein steiles Geröllfeld, spüre ich jetzt jeden Schritt in den Beinen. Vor allem um 4:00 Uhr morgens! Trotz niedriger Temperaturen ist mir warm. Sehr warm. Nach einer knappen Stunde verlasse ich den Wald und befinde mich auf einem schmalen, steinigen Weg durch die Latschengewächse.
Plötzlich ein lautes, dumpfes Brummen. Überrascht halte ich inne und versuche mit der Stirnlampe zu sehen was mich hier so unfreundlich begrüßt. Da es immer noch stockdunkel ist, kann ich leider nicht feststellen um welche Spezies es sich handelt. Ich suche mein Glück in der schnellen Flucht bergauf und marschiere weiter. Jetzt sogar noch etwas zügiger als bisher. Wenige Minuten später erblicke ich zum ersten Mal das Gipfelkreuz auf 2.059 Metern. Der Pfad wird noch unwegsamer und steiler. ich trete über hohe Stufen von Stein zu Stein. Der rötliche Streifen am Horizont lässt mich nochmal alles aus den müden Schenkeln herausholen. Mitten in der Nacht aufstehen um den Sonnenaufgang zu erleben und diesen dann verpassen? Nein danke!
Nach einem kurzen und kraftraubenden Schlussspurt ist es geschafft. Einsam und alleine stehe ich auf dem Gipfel. Die aufgehende Sonne am Horizont hüllt die Landschaft in ein magisches Licht. Ich bin eigentlich kein Typ der Selbstgespräche führt, aber in diesem ganz speziellen Moment rutscht mir spontan ein lautes "Meine Fresse ist das geil!" heraus. Dieser Moment ist überwältigend. Das frühe Aufstehen und der anstrengende Aufstieg sind unendlich fern. Ich mache meine Fotos. Sehr viele davon, sowohl vom Sonnenaufgang selbst, als auch von den endlos scheinenden Gipfeln hinter mir, die im morgendlichen Licht glühen. Erst als meine Hände vom eisigen Wind so gut wie taub sind, mache ich mich auf den Weg zurück zur Hütte. Zu meiner Freude ist der Wirt mittlerweile auch auf den Beinen. Ich werde auf der Terrasse mit einem "Servus" empfangen, und mit der so gern gehörten Frage nach einem Kaffee. Ein rundum perfekter Start in einen weiteren Tag in den wunderschönen und wilden Tannheimer Bergen in Tirol!